Eiserner Vorhang 2.0
von Arno Grüter
3. Mai 2025
«Freundlich bis bewölkt» war Ende 2021 die Einschätzung von The Blue Finance zu den Märkten. Mittlerweile kann das «freundlich» weggelassen werden. Der Krieg in der Ukraine ist tatsächlich ein geopolitscher Paradigmenwechsel mit Implikationen für die Finanzmärkte. Geopolitik hat Geldpolitik als das dominierende Thema an den Märkten abgelöst.

Image by pch.vector on Freepik
Lagebeurteilung
Im Ausblick 2022 haben wir die Notenbanken als das dominierende Thema herauserkoren. Bereits 2021 war die Inflation und die Reaktion der Notenbanken darauf der «Elefant im Raum». Der Elefant ist nach wie vor im Raum, das zweite TopThema, «China vs. USA», allerdings ist im Februar dieses Jahr mit aller Heftigkeit vor den Elefanten getreten und hat neue, erweiterte Konturen angenommen. Am 24. Februar 2022 (notabene genau eine Woche nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen in der Schweiz) hat Russland die Invasion der Ukraine gestartet. Der Westen hat wirtschaftlich heftig darauf reagiert und harte Sanktionen gegen Russland und zahlreiche Staatsbürger erhoben. Damit wurde ein klares Zeichen an Russland gesetzt und das Land wirtschaftlich stark isoliert. Ob es dem Westen gelingen wird, damit den Krieg entscheidend zu beeinflussen, sei dahingestellt. Das Land ist relativ autark und die breite Bevölkerung wird durch die mehr oder weniger sophistizierte PropagandaMaschinerie des Kremls weiter von den Versuchungen der Früchte der westlichen Marktwirtschaften abgeschottet. Russland hat als Exporteur von Öl und Gas einen Einfluss auf Europa und China. Davon abgesehen ist die Verflechtung mit dem Westen sehr gering, weshalb ein Ausfall des Riesenreiches lediglich via die Energiemärkte Einfluss auf die Märkte hat
Und China?
Ein anderer Effekt der russischen Invasion aber hat weitreichende Konsequenzen: Die Reaktion Chinas spricht Bände. Das zweite autokratische Riesenreich hat sich zu Beginn der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking mit Russland verbrüdert und «felsenfeste Freundschaft» geschworen. Seit der Invasion windet sich die kommunistische Partei um klare Stellungnahmen. Der Angriff wird zurückhaltend kritisiert, aber der Fall ist klar: Auch China ist der Westen mit seinen liberalen Gesellschaften und Marktwirtschaften ein Dorn im Auge.
Die Rückkehr der alten Weltordnung «Westen vs. Osten» hat sich schon vor dem Februar 2022 abgezeichnet. Aber nun hat sie klare Konturen. Die letzten 30 Jahre der wirtschaftlichen Öffnung des Ostens haben die asiatischen Länder genutzt, um zu prosperieren. Russland aber ist nicht vom Fleck gekommen. China ist mit freundlicher Unterstützung des Westens zur Supermacht aufgestiegen, die den USA den Rang als die die Weltordnung diktierende Macht streitig machen wollen. Als «Werkbank der Welt» ist China zu einigem Wohlstand gekommen und hat den Westen von höherer Inflation bewahrt.
Verfestigung der Fronten
Was sind nun die Folgen der Invasion der Ukraine?
Der «eiserne Vorhang» ist zurück und Russland hat sich zu Chinas «Junior Partner» degradiert.
Russland blamiert sich militärisch in der Ukraine und die Sanktionen setzen dem Land mit zunehmender Länge zu. Beide Faktoren rücken das verflossene Zarenreich in eine Position der Schwäche, was China zur Stärkung seiner Dominanz freudvoll ausnützen wird. Präsident Putin hat sich in einem Machtwahn zum «JuniorPartner» von Vorsitzenden Xi degradiert. Die im letzten Anlagekommentar erwähnte Rivalität zwischen China und der USA um die wirtschaftliche und politische Vorherrschaft hat sich zur alten Rivalität zwischen dem Westen und dem Osten ausgeweitet. Die ebenfalls erwähnten Zentrifugalkräfte an Europas Ostflanke sind durch den Ukraine-Krieg zumindest stark eingedämmt worden. Länder wie Polen oder Ungarn werden es sich nun zweimal überlegen, ob sie der EU oder NATO den Rücken kehren wollen.
Das «asymmetric decoupling» (asymmetrische Abkopplung) Chinas akzentuiert sich gerade vor unseren Augen. Die naive Hoffnung des Parteiapparates in Peking, dass das Corona-Virus einen Bogen um das Riesenreich machen würde, hat sich parallel zum Ukraine-Krieg zerschlagen. Eine nicht-immunisierte Bevölkerung steht an einem Punkt, an dem der Westen im Herbst 2020 war. Das Resultat: China kapselt sich noch mehr ab. Vielleicht auch mit dem Virus als Vorwand. Der Westen wird sich – wohl oder übel – damit abfinden müssen, dass die Lieferketten- und Rohstoff-Problematik inskünftig auch verstärkt durch politische Motive getrieben sein und so die Inflation auf einem erhöhten Niveau halten wird.
In den USA werden im Herbst 2022 Zwischenwahlen abgehalten. Die Position von Donald Trump ist durch den Ukraine-Krieg geschwächt worden. Das stärkt den westlichen «Block», da Präsident Joe Biden mit einigermassen geeinten Reihen stärker auftreten und somit auch den Westen einen kann. Andere Leader-Figuren sind im Westen rar. Präsident Macron ist mit dem Wahlkampf beschäftigt, der englische Premier Johnson eignet sich aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit nicht dafür. Deutschland drückt sich auch unter der neuen Regierung um einen Führungsanspruch.
Märkte
Was bedeutet der neue eiserne Vorhang für die Finanzmärkte?
Mangelwirtschaft
Generell gilt, was bereits seit Ende 2021 gilt: Der Effekt des «Covid-Rebound» ist definitiv am Abklingen, wir werden aber mittelfristig mit einer höheren, durch Knappheit getriebenen Inflation leben müssen. Der realwirtschaftliche und geldpolitische Rückenwind werden schwächer.
Die spricht anlagestrategisch
- für Qualitätsaktien mit Preissetzungsmacht, bevorzugt «Value»- Aktien und Aktien aus dem RohstoffBereich
- gegen Obligationen aus der westlichen Welt Marktkommentar / April 2022 The Blue Finance 3/3
- für eine neutrale Haltung gegenüber Immobilienanlagen
- für eine neutrale Haltung bei alternativen Anlagen, aber mit einem Übergewicht bei Rohstoffen
- für eine Allokation in physischem Gold oder Gold-Minenaktien.
Die nächsten Monate werden für die Bestimmung der geopolitischen Lage im kommenden Jahrzehnt entscheidend sein. Anlagepolitisch ist bis zur weiteren Klärung der Situation eine eher vorsichtige Haltung angebracht, denn eine Eskalation der Kampfhandlungen in der Ukraine ist nach wie vor ein realistisches Szenario