Nagelfluh der Anlagewelt

von Arno Grüter

19. Mai 2024

Nagelfluh ist eine typische Gesteinsformation der Voralpen. Dieses Sedimentgestein bindet verschiedene Gesteinsarten durch eine Art Gesteinskitt. Geologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Konglomerat. Wie in der Geologie halten Konglomerate auch in der Betriebswirtschaft verschiedene Teile zusammen, die per se auch «lose» und eigenständig existieren könnten. In der betriebswirtschaftlichen der Finanzwelt bröckelt der Kitt seit Längerem. Zu Recht.

Konglomerate sind Firmen, die in verschiedensten Branchen tätig sein und damit auch verschiedene Wertschöpfungsketten aufweisen. Davon zu unterscheiden ist einerseits die «Horizontale Integration», bei welcher mehrere Unternehmen oder Unternehmensteile gleicher oder ähnlicher Tätigkeit verschmolzen werden, um beispielsweise Synergieeffekte zu nutzen (Beispiel: Zwei Autokonzerne fusionieren). Andererseits gilt es auch von der aktuell von zahlreichen Firmen praktizierten «Vertikalen Integration» zu differenzieren, bei der nach- oder vorgelagerte Tätigkeiten in eine bestehende Struktur integriert werden (klassisches Beispiel: Ein Produzent kauft einen Lieferanten). Beide Arten der Integrationen setzen in der Regel schnell und offensichtlich Wert frei.

Bei der Analyse von Konzernen gilt es zu beachten, dass das Investieren ein zweistufiger Prozess ist: Einerseits gibt die primäre, firmeninterne Kapitalallokation, welche die Mittel der Firma auf vielversprechende Projekte aufteilt. Dieses Kapital wiederum erhält die Firma von den externen, wir nennen sie «sekundären und renditesuchenden» Investoren auf dem Kapitalmarkt

Aus dieser Optik handeln die Manager von Konglomeraten wie Portfoliomanager, die in verschiedene Firmen und damit Wertschöpfungsketten investieren. Was ist davon zu halten?

Manager, die Konglomerate führen und diese Form der Firmenstruktur für gut befinden, müssen davon überzeugt sein, dass sie als firmeninterne Investoren das Kapital der Firma besser auf vielversprechende Projekte aufteilen können, als dies externe Investoren mit dem Kauf von Aktien The Blue Notes Marktkommentar II., April 2022 Marktkommentar / April 2022 The Blue Finance 2/3 zu tun vermögen. Diese Sicht mag in früheren Zeiten, als die Investoren sich noch aus der Zeitung informiert haben, ihre Gültigkeit gehabt haben. Seit dem Anbruch des Informationszeitalters jedoch gelingt es nur noch wenigen KonglomeratsManagern, sich nicht nur als gute Kenner ihres Kernfachs, sondern auch als überdurchschnittliche Investoren von überschüssigem Kapital hervorzutun. Denn: Die Primäre Aufgabe von Managern ist es, das Kapital der Firma in Projekte zu investieren, die nachhaltig eine höhere Rendite abwerfen, als das Kapital kostet (Eigenkapitalkosten). Die einfache Formel lautet:

Investiere in interne Projekte, wenn Rendite (Projekt x) > Kapitalkosten der Firma.

Falls das nicht der Fall ist, ist es die Erwartung der externen Investoren, dass die Free Cash Flows – zumindest zu einem gewissen Teil – in Form von Aktienrückkäufen oder Dividenden an die Aktionäre zurückzugeführt werden.

Die Aufgabe von guten Firmenmanagern ist es, in ihrem Kompetenz-Bereich eine clevere Strategie zum Ausnützen von Marktchancen umzusetzen. Dafür braucht es ein tiefes Branchenwissen und ausgeprägtes, zukunftsorientiertes strategisches Denken in dieser spezifischen Branche. Es ist heutzutage sehr schwierig, dies in mehreren Branchen gleichzeitig erfolgreich zu tun.

Ein positives Beispiel eines guten Konglomeratsmanagers ist Warren Buffett mit seiner Firma Berkshire Hathaway. Die Firma ist eindeutig ein Konglomerat, aber Buffetts Rolle ist klar diejenige eine Portfoliomanagers. Er alloziert Kapital als Externer auf verschiedene Firmen. Buffett kauft sich in Firmen in, von welchen er einerseits vom Potential der Branche und andererseits von den Fähigkeiten des Managements überzeugt ist. Buffett mischt sich nicht ins Tagesgeschäft ein.

Wie in letzter Zeit zu beobachten ist, werden Konglomerate sukzessive aufgespalten, um die Firmenteile so aus den internen Abhängigkeiten und Rigiditäten eines Konzerns zu befreien, und gleichzeitig den Investoren die Möglichkeit zu geben, ihr Kapital dorthin zu allozieren, wo sie die höchste Rendite erwarten. Das ist gut so, denn die Sicht eines Portfoliomanagers und eines Firmenmanagers sind nur begrenzt vergleichbar. Ersterer sucht ein optimales Risiko-Rendite-Profil mit einem starken Fokus auf die Marko-Lage. Durch Diversifikation reduziert er die Risiken für die Investoren. Der Firmenmanager geht bewusst Risiken ein, um den Wert des Eigenkapitals zu optimieren (resp. maximieren). Dabei hat er ausschliesslich die Mikro-Sicht auf die Art und Weise, wie er spezifische Bedürfnisse von Kunden befriedigen kann. Bei Konglomeraten besteht die Gefahr, dass Manager die freien Cash Flows mehr oder weniger gleichmässig über die verschiedenen «Holdings» verteilen, anstatt mit gezielten Investitionen Akzente zu setzen und so die erfolgversprechendsten Projekte zu finanzieren.

Gutes Investieren bedeutet, dass gute Portfoliomanager in gute Manager investieren. Dass aber gute Portfoliomanager in gute Portfoliomanager investieren, ist neuerdings eher selten. Nach dem Motto «Schuster bleib’ bei deinen Leisten» (oder im neuzeitlich «Fokus auf Kernkompetenzen») sollten sich der Finanzmarkt auf die Analyse von Firmen und die Realwirtschaft auf die Analyse von Wertschöpfungspotential konzentrieren, um so das Potential der Wirtschaft optimal zu entfalten.

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